Montag, 28. März 2011

Über die Verantwortung im neuen Zeitalter der „Magie des Imago“

Teil 3 des fiktiven Interviews mit Vilém Flusser basierend auf seinem 1990 veröffentlichten Aufsatz „Das Politische im Zeitalter der technischen Bilder“.

vizLaboratory: Guten Tag Herr Flusser! In unseren letzten beiden Gesprächen sprachen Sie von den Werten, die eine von Texten programmierte Generation nicht mehr mit den von „Techno-Bildern“, also technisch erzeugten Bildern wie Film und Foto, programmierten Generation teilt.

Wie verändert sich in dieser Situation das Politische und welche Verantwortung tragen neue Generationen unter diesen Umständen?

Vilém Flusser: Vielen Dank, das ist eine sehr wichtige Frage, die mich immer wieder beschäftigt. Ich will die Veränderung, die stattgefunden hat, kurz in zwei Beispielen veranschaulichen:

Erstens: Schauen wir uns an, wie Anfang des 20. Jahrhunderts Fotos gemacht wurden, um politische Ereignisse zu dokumentieren. Den damaligen Fotografen ging es darum, Aspekte der fotografierten Ereignisse festzuhalten, um sie danach prüfen zu können. Zweitens aber, begannen Politiker, die Macht des Imaginären über das Begriffliche für sich zu nutzen.

Man könnte sagen, dass historische Ereignisse hier so manipuliert werden, dass sie Bilder ergeben, die in ihren Empfängern ein „magisches Verhalten“ im Sinne des Politikers hervorrufen sollten.

vizLaboratory: Sie meinen also Zuschauer, bei denen die solcherart zusammengestellten Bilder einen so großen Eindruck hinterlassen, dass sie sie als Aufforderung verstehen, so zu funktionieren wie, um im Beispiel zu bleiben, nationalsozialistische Politiker es gern gehabt hätten?

Vilém Flusser: Genau!

Was passierte nun aber mit dem geschichtlichen Bewusstsein? Die Geschichte, die eine lineare Abfolge von Ereignissen ist, wurde zum bloßen Input einer Bilderproduktion. Als Folge davon hat das Imaginäre, das existentiell ja viel stärker als Texte wirkt, das Reale dermaßen ersetzt, das wir als Zuschauer, den Bildern ausgeliefert sind, ohne zu wissen, ob diese Bilder Tatsachen abbilden.

vizLaboratory: Und wie hat das Ihrer Meinung nach das Verständnis des Politischen geändert?

Vilém Flusser: Tja, heutzutage können politische Ereignisse mit dem Ziel inszeniert werden, durch technische Bilder festgehalten zu werden und diese Bilder können dann wiederum zum Motor politischen Handelns werden.
Sie werden im öffentlichen Raum aufgenommen, zerstören aber gleichzeitig den öffentlichen Raum und lösen traditionelle Kommunikationsstrukturen auf.

Wie das kommt? Nun ja: Vergegenwärtigen wir uns – umrisshaft – nochmals, unter welchen Umständen das im Ursprung anti-bildliche und damit anti-magische politische Bewusstsein geboren wurde. Das geschah, nachdem die Linearschrift eingeführt worden war. Die Linearschrift rollte die magische Oberfläche der Bilder auf und verwandelte Szenen in lineares Geschehen. Die lineare, also gerichtete, geschichtliche Zeit entstand.

Damit veränderte sich auch die Wahrnehmung von Existenz generell: Das Leben wurde nicht mehr als Kreislauf der ewigen Wiederkehr betrachtet – wir sprachen schon davon –, sondern als Serie unwiderruflicher Augenblicke, die dramatische Entscheidungen erforderten. Und das war die Geburtsstunde des Politischen.

Die Entscheidungen wurden in Form einer bestimmten Kommunikationsstruktur, nämlich des Diskurses, gefällt und die für das Führen der Diskurse notwendigen Informationen wurden zunächst in privaten Räumen – den Küchen, griechisch oikai – zusammengestellt, um sie danach im öffentlichen Raum – dem Forum, griechisch agora – auszutauschen und neue Informationen zu empfangen.

Wie ist das aber mit den Bildern von heute? Die Bilder von heute werden zum Beispiel in Fernsehstudios produziert. Das sind abgeschlossene, von der Öffentlichkeit unterschiedene private Räume. Zugleich sind diese Bilder aber politische Produkte, weil sie den öffentlichen Raum abbilden. Allerdings werden die durch sie aufbereiteten Informationen von den Zuschauern nicht im öffentlichen Raum aufgenommen und verhandelt.

Wir nehmen die so aufbereiteten Informationen in der Vereinzelung unserer privaten Räume wahr. In der Geburtsstunde des Politischen war dieser Rhythmus ein anderer: Die Menschen verließen ihre Privatsphäre und betraten den öffentlichen Raum, um informiert zu werden und zu verhandeln; sie kehrten nach Hause zurück, um die Informationen zu speichern und zu verarbeiten.

Das heisst, weil wir zu Hause bleiben müssen, um überhaupt an Informationen heranzukommen, wird der öffentliche Raum nutzlos! – Das ist das eine radikal Anti-Politische unseres Zeitalters und löst traditionelle Kommunikationsstrukturen auf.

vizLaboratory: Zumindest konnte man davon 1990, im Fernsehzeitalter, noch ausgehen. Heute ist das etwas anders. Heute haben wir dank Handy & Co auch im öffentlichen Raum Zugang zu Informationsquellen…

Vilém Flusser: Hm, nun ja, das mag sein. Es gibt aber noch einen zweiten Punkt, der mein Zeitalter – und vielleicht auch Ihres – zu einem radikal Anti-Politischen macht: Wenn wir eine Fotografie betrachten, haben wir es mit einer zweidimensionalen Oberfläche zu tun, das heißt, auf der Fotografie eines politischen Ereignisses, sehen wir das Ereignis nicht als Teil eines Prozesses von Ursache und Wirkung, sondern als eine bestimmte Szene. – Also kehren wir wieder zum magischen Zeitalter zurück!

Es wird nun behauptet, dass die technischen Bilder der vorgeblich von der Politik unabhängigen „Macht der Medien“ entspringen. Ich finde das naiv, weil die Bilder ja nach wie vor im Dienste der Politik stehen, allerdings einer Politik, die nicht mehr „politisch“ im traditionellen Sinne des Begriffs ist. Und vor diesem Hintergrund finde ich es wichtig, sich zu fragen, welche politischen Zwecke eigentlich Bilderproduzenten verfolgen, die selbst ja außerhalb der Politik stehen.

vizLaboratory: Und uns über die Entstehungsbedingungen und Ziel eines technischen Bildes klar zu werden, wäre dann unsere Verantwortung.

Vilém Flusser: So ist es.

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